27C3 - Version 1.6.3

27th Chaos Communication Congress
We come in peace

Referenten
Betje Schwarz
Doris Gerbig
Kathrin Englert
Programm
Tag Day 3 - 2010-12-29
Raum Saal 2
Beginn 20:30
Dauer 01:00
Info
ID 4085
Veranstaltungstyp Vortrag
Track Society
Sprache der Veranstaltung deutsch
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Digitale Spaltung per Gesetz

Das Internet und geschaffene soziale Ungleichheit im Alltag von Erwerbslosen

Hartz IV-Empfangende brauchen keine internetfähigen Computer, weil sie Fernseher haben. Dieser Ansicht sind deutsche Sozialgerichte und forcieren damit eine digitale Spaltung per Gesetz. Im Zeitalter der digitalen Informations- und Kommunikationsgesellschaft mutet dieser Umstand absurd an, aber eine breite öffentlichkeitswirksame Debatte steht bisher aus.

Hartz IV-Empfangende brauchen keine internetfähigen Computer, weil sie Fernseher haben. Die Grundversorgung mit Informationen werde laut Landessozialgericht NRW durch Fernsehen und Rundfunk sichergestellt. Dementsprechend gilt auch nur ein Fernseher nicht jedoch ein internetfähiger PC als unpfändbar. In den ALG II-Regelleistungen sind Anschaffungskosten für einen PC nicht vorgesehen, lediglich 5,80 Euro im Monat für Internetdienste und Datenverarbeitung. Dass es in Hamburg mittlerweile eine „Computer-Tafel“ gibt, zeigt die Unwirklichkeit eines Beschlusses des Landessozialgerichts Bayern, laut dem Hartz IV-Empfangende die Kosten für einen PC ansparen könnten. In dieser Situation der digitalen Spaltung erforschen wir als Sozialwissenschaftlerinnen an der TU Hamburg-Harburg die Internetnutzung von Erwerbslosen und stellen erste Ergebnisse vor.

Die per Gesetz verordnete digitale Spaltung mutet im Zeitalter der digitalen Informations- und Kommunikationsgesellschaft absurd an. Dass es bisher keine öffentlichkeitswirksame Debatte gibt, mag auch daran liegen, dass es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, welche Bedeutung das Internet im Alltag von Erwerbslosen hat. Diese Frage ist bisher weder in der Erwerbslosen- noch in der Internetforschung untersucht worden. Dabei wäre eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Frage in der Debatte um Ausgrenzung und Teilhabe dringend notwendig. In unserem Forschungsprojekt sind wir dieser Frage anhand von Interviews und Internetsessions mit Erwerbslosen in drei verschiedenen Regionen Deutschlands nachgegangen.

Der Alltag von Menschen im ALG II-Bezug ist in besonderem Maße durch prekäre Lebensverhältnisse gekennzeichnet. Der Verlust von Erwerbsarbeit bedeutet den Verlust einer zentralen Dimension gesellschaftlicher Teilhabe, der sich auch auf weitere Teilhabeformen wie soziale Nahbeziehungen, Rechte, Kultur und Bildung auswirkt. Welche Rolle spielt nun das Internet in diesem von Ausgrenzungen und sozialen Verwundbarkeiten geprägten Alltag? Kann das Internet die eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten kompensieren? Können Erwerbslose mit Hilfe des Internets Handlungsfähigkeit zurückgewinnen? Welche Bedeutung schreiben Erwerbslose dem Zugang zum Internet zu? Wird ein nicht vorhandener oder eingeschränkter Internetzugang zu einer weiteren Dimension der Ausgrenzung von Erwerbslosen in der digitalen Wissensgesellschaft und produziert damit soziale Ungleichheit? Wir würden gerne mit AktivistInnen diskutieren, wie man gegen die derzeitige gesetzlich geförderte doppelte Ausgrenzung von Erwerbslosen vorgehen kann.

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